Anspannung müssen wir nicht üben – die beherrschen wir ohnehin schon fast bis zur Perfektion. Entspannung und Regeneration sind die Themen der Zeit, die viel zu häufig auf der Strecke bleiben. Unsere Vorfahren hatten bei der Mammut-Jagd 4 Tage lang Stress, und danach 4 Wochen lang Pause. Heute folgt Mammut auf Mammut. Die Regenerationsphasen kommen viel zu kurz.
Objektivieren kann man den persönlichen Stress bzw. den Mangel an Regeneration durch die Messung des Stresshormons Cortisol im Blut oder im Speichel. Bei meinen Patienten achte ich darauf, dass der Spiegel im Blut tunlichst unter 20 µg/dl liegt. Bei Werten darüber beginnt der Stressstoffwechsel, bei dem wertvolle Aminosäuren – die eigentlich für das Gehirn bestimmt sind – als Energie verbraucht werden. Im entspannten Zustand verbrennt der Körper nämlich niemals wertvolles Eiweiß als Energie. Das ist für höhere Aufgaben bestimmt. Aus den gehirnaktiven Aminosäuren werden die Antriebs- und Glückshormone für das Gehirn produziert. Diese Botenstoffe machen uns das Leben leichter, erhellen die Stimmung und sorgen für die begehrten Geistesblitze – ausreichende Konzentration vorausgesetzt. Nur im Stressstoffwechsel zieht der Körper alle Register und verbrennt auch diese wertvollen Eiweißbausteine als Energie, und werden somit dem Gehirnstoffwechsel entzogen. Die Folge: Antrieb und Stimmung sinken, die Geistesblitze fehlen. Wenn das eintritt, hat man nicht erst gestern etwas falsch gemacht. Energiekannibalismus nennt man dieses Phänomen in der Medizin. Der Banker würde sagen: man lebt vom Kapital, nicht von den Zinsen. Je nach Konstitution hält man das länger oder kürzer aus. Ganz wichtig: Wir sprechen hier von Langzeitstress – also von einem Prozess, keinem Zustand.
Regeneration sollte darum einen ebenso fixen Termin in Ihrem Kalender einnehmen, wie die Geschäftstermine. Und die Entspannung darf nicht erst im Urlaub beginnen. Typischer Weise werden zuvor überanstrengte Menschen gerade im Urlaub krank – wenn die Anspannung – die das System gerade noch am laufen hält, nachlässt. Selbstständige sind hier besonders gefährdet, deren Gedanken auch Samstags und Sonntags noch um die Arbeit kreisen – oder sogar dann noch am Schreibtisch sitzen. Merke: Wenn man den ganzen Tag arbeitet, kann das kein Zeichen für Intelligenz sein! Gönnen Sie sich mehr Zeit für sich, Ihre Hobbys, Freunde und Familie. Nach der Entspannung geht die Arbeit – diese Erfahrung haben Sie sicherlich aus selbst schon gemacht – viel leichter von der Hand. Thomas Edison und Albert Einstein hatten ihre bahnbrechenden Geistesblitze nicht etwa bleistiftkauend im Büro oder im Labor, sondern bezeichnender Weise beide im Schaukelstuhl, ganz entspannt auf der Veranda sitzend.
Im englischen Sprachgebrauch fällt der Ausdruck „attitude towards life“ – die Einstellung zum Leben – viel häufiger als bei uns. Psychologen haben sogar die ethnologischen Unterschiede in der Lebenseinstellung wissenschaftlich untersucht. Wir Deutschen schneiden dabei leider sehr schlecht ab: der Durchschnitts-Kameruner ist glücklicher als der Durchschnitts-Deutsche. Was wieder einmal beweist: Wohlstand und Wohlbefinden sind zwei völlig verschiedene paar Schuhe. Dabei ist es so einfach, glücklich zu sein. Es ist nur so schwer, einfach zu sein.
Die Bankenkrise, unsere Politiker, die Benzinpreise und die Staatsverschuldung können wir persönlich nicht verändern – höchstens unsere Sichtweise auf die Dinge. Darum sollte man sich selbst die Frage stellen: „Wie viel Macht gebe ich diesen Problemen?“ Muss ich mich auch in meiner Freizeit immer wieder mit Dingen beschäftigen, die ich ohnehin nicht ändern kann? Oder gilt da nicht eher der buddhistische Leitsatz, dass man Dinge die man ohnehin nicht ändern kann, eher gelassen hinnehmen sollte. Das wäre schon einmal ein erster Schritt zur Gelassenheit, zur inneren Regeneration.
Neueste medizinische Studien belegen, dass man durch Meditation ein erhöhtes Stresshormon messbar senken kann. Meditation ist also deutlich mehr als nur da sitzen und nichts tun. Die Atmung verlangsamt sich, die Herzfrequenz und der Muskeltonus sinken, die Gehirnwellen beruhigen sich, Cortisol wird abgebaut. 15 – 20 Minuten täglich sollten Sie der aktiven Entspannung widmen. Zusammengefasst mit vielen Beispielen und konkreten Lösungsvorschlägen gewürzt habe ich diese Zusammenhänge in meinem neuen Buch: „Erschöpfung und Depression – wenn die Hormone verrückt spielen,“ welches ganz aktuell im Kösel-Verlag erschienen ist.